Postmoderne und der Glaube

Wie können wir Gott denken, ohne ihn in ein «Ausserhalb» zu verlagern, eine unerreichbare Transzendenz? Gott ist nicht tot, aber er hat seine Adresse geändert, denken einige postmoderne Theologen. Wie finden wir seine Adresse wieder?«Für den Augenblick findet man hier nur eine Baustelle unter offenem Himmel», schreibt Jean-Luc Nancy, ein französischer Philosoph der Postmoderne.

Von Océane Burkhard

Die Moderne distanzierend, Vielfalt zelebrierend

Die Moderne hat uns eine wissenschaftlich-rationale, aufgeklärte, klare Welt versprochen. Heute erleben wir eine plurale und unstabile Zeit, kaum noch irgendetwas scheint Halt zu geben. Flexibilität triumphiert. Das Familienbild ist vielfältig geworden. Religion ist im Plural zu denken. Die hart erkämpfte politische repräsentative Demokratie interessiert kaum mehr als ein Drittel der westlichen Bevölkerung, die sich noch zu Wahlen bewegen lässt. An einen allherrschenden Gott ist ehrlicherweise schwierig zu glauben, das Weltall ist zu gross, um Gott noch grösser zu denken. Vieles, das gut zementiert war, zerbröckelt. Aus verschiedenen Gründen. Das könnte aber auch etwas Neues verbergen, das kommt, aber noch nicht da ist. Das ist Postmoderne Zeit, das ist unsere heutige westliche Gesellschaft.

Die Moderne startete in der Renaissance, erreichte aber ihren Höhepunkt in der Nachkriegszeit bis in die Mitte der 70er Jahre. Am Ende dieses Jahrhunderts wuchs immer mehr Kritik an der Moderne. Es ging, und geht immer noch, in eine neue Zeit, die wir heute Postmoderne nennen – eine Übergangszeit: Niemand weiss, wohin die Reise geht. Was die Moderne besonders auszeichnet, ist das Vertrauen in Wissenschaft und den menschlichen Verstand. Die Welt sollte durch Demokratie und Naturwissenschaft von Obskurantismus und Ignoranz erlöst werden. Die postmoderne Kritik aber eruiert, dass man vieles auch anders ansehen kann. Es ist durch die Pluralisierung der Möglichkeiten nichts mehr eindeutig begründbar. Es gibt vielleicht gar keinen Grund. Das bringt viele neue Fragen und Herausforderungen. Zum Beispiel, was denn eigentlich eine Familie ist, oder, wie die Religionen zusammenleben können und mit Wahrheit umgehen sollten, was der Mensch im riesigen Weltall eigentlich soll, und auch, wie er sich zur Natur und zum Tier versteht. So wird unsere postmoderne Welt kreativ aber auch destabilisierend, sie ist innovativ und ebenso unkanalisierbar, man könnte sie auch flüssig nennen. Postmoderne ist vielfältig ohne Perspektive, macht Exzesse möglich und schwimmt in einem ethischen Durcheinander. In der heutigen postmodernen westlichen Welt ist vieles möglich, das die Gesellschaft mit neuen ethischen Fragen konfrontiert (androide Roboter, künstliche Intelligenz, Mensch in der Natur, …), oder neue Lebensprojekte ermöglicht («Regenbogen-Familien», vielseitiges Sexualleben, Veganismus, alle «slow»/langsam Bewegungen, … ). auch die Vielfalt der Religionen ist eine Herausforderung: Wie geht Religion mit Wahrheit, Gemeinschaft und Patchwork Spiritualität um? Der christliche Glaube kommt dabei auch unter Druck. Die Postmoderne kritisiert ein Denken, das nach einem letzten Grund, einem Ursprung, fragt. Dieser wurde Gott anvertraut. Wenn aber dieser letzte Grund wegfällt, wo ist dann Gott in der Baustelle?

Grundlos, plural vorwärts!

Die Postmoderne Philosophie nimmt jegliche Möglichkeit, einen sicheren Grund zu finden. Die Moderne hatte Vieles in Dichotomien geordnet, zum Beispiel in folgende: symbolisch–wissenschaftlich, klar–obskur, richtig–falsch, Natur–Kultur, usw. Zeitgenössische Denker, wie der Franzose Jacques Derrida, haben diese Gegensätze dekonstruiert und aufgezeigt, dass in jedem Wort auch sein Gegenteil oder wenigstens eine Verschiedenheit steckt. Diese zu entdecken und aufzufächern zeigt, dass nichts einen eindeutigen Grund hat. Der Grund ist grundlos, plural, endlos vielfältig. Das heisst, niemand kann wirklich den Grund eines Konzeptes erfassen. Man kann jedoch konkret im Jetzt und in der Zukunft mit der Vieldeutigkeit der Worte arbeiten. Das nennt man Dekonstruktion, ist aber nicht Zerstörung, sondern Auffächerung und Pluralisierung. Das ist unstabil, auch für den Glauben.

Wer, wie, wo ist Gott?

Die postmodernen Theologen haben viel über die Frage, wer und wie Gott in dieser neuen Zeit ist, gegrübelt. Es geht besonders darum, Gott nicht als letzten Grund oder Ewigkeit zu denken. Neue Ansätze geben interessante Loslösungen von göttlichem Grund und Ewigkeit, hin zu einem dynamischeren Gottesbild. Für Kevin Hart, australischer Mitdenker, ist Gott ein Bettler, und wie eben Bettler sind, treten sie plötzlich in unserem Leben auf. Wir entdecken sie auf unserem Lebensweg, wir wissen nicht woher sie kommen und wohin sie gehen. Gott, der Bettler, möchte in unser Leben eintreten und es bereichern, aber dazu braucht er unsere Einwilligung. Biblisch gesagt: Er klopft an (Offenbarung 3,20). Das heisst, Gott gerät von unten an den Menschen und nicht von seiner Allmacht in der Höhe oder aus seiner Ewigkeit. Man kann Gott spüren, sein Anklopfen wahrnehmen, aber nicht an sein grundsätzliches Wesen gelangen. Es geht in der Postmoderne um eine Mitfärbung Gottes an unserem Leben, das Original ist verwischt, unauffindbar.

Jan-Olav Henriksen, ein norwegischer Theologe, der die Schöpfungstheologie, die Lehre von Jesus Christus, und viel Philosophisches der Postmoderne christlich verarbeitet hat, denkt, dass nicht alles einfach eine kulturelle Perspektive ist. Es gibt auch etwas, das der zeitlichen Behaftung nicht unterstellt ist, und das muss die Theologie aufnehmen. Er nennt es Das Andere. Es ist etwas, das nicht unseren eigenen intellektuellen, kulturell-bedingten Konstruktionen untersteht. Das Andere ist Teil der Pluralität allen Verstehens. Der Theologe nennt es auch das Verlangen, die Sehnsucht nach Gott. Ein Gott, der uns sucht, nach uns verlangt. Gott füllt nicht etwas aus, was fehlt, sondern, er bringt in unser Leben einen Mehrwert. Gott ist wie ein Geschenk, das wir grundsätzlich nicht brauchen, aber gerne annehmen, weil wir Lust dazu haben. Er gründet nicht mein Leben, sondern bereichert es.

Gott als Gabe oder Ereignis?

Gott als Gabe wird öfters von postmodernen Theologen thematisiert. So ist die Andersartigkeit gesichert, aber nicht in Macht verstrickt. Es ist, als wäre etwas in der Welt gegeben, was wir nicht beherrschen. Es ist da, wie ein Geschenk, das wir annehmen und mitnehmen dürfen, aber auch klar liegen lassen können. Es ist jedem Menschen freigestellt, wie er mit dieser Gabe, die ihm vorausgeht, umgeht. Im Leben Dem Anderen einen Platz zu geben, heisst, konkret in Beziehung zu kommen. Das wiederum heisst, Verantwortung zu übernehmen, Respekt zu zeigen, Platz einzugestehen für das, das ich nur als Gabe empfangen kann. Gott, das Evangelium, das geistige Leben als Das Andere, ein Geschenk zu empfangen, ist etwas ganz anderes als Gott als den Allmächtigen anzurufen, das Evangelium als das einzig Wahre zu glauben, das christliche Leben als etwas Ewiges zu denken. Noch radikaler ist die faszinierende, biblisch ausgerichtete Theologie von John D. Caputo, sicher einer der grössten und interessantesten zeitgenössischen Theologen. Gott existiert nicht, er insistiert, schreibt er. Gott ist ein «Vielleicht» (Theology of the perhaps), ein «Ereignis» (Theology of the Event), das uns stört. Es spukt unbequem herum, macht Unmögliches möglich, wie in den Gleichnissen von Jesus. Wenn Gott dem Möglichen entspricht, dem Denkbaren, ist er nicht mehr der Gott von Jesus Christus. In den Jesusgeschichten ist das Ereignis versteckt, das von ganz unten kommt. Im Vielleicht des Unmöglichen. Hier kommt der schwache Gott zur Sprache. Es gibt ihn nur, wenn wir ihm einen Platz geben, wenn wir dem Möglichen Unmöglichen Achtung schenken.

Zeitgenössische feministische Theologinnen, wie Catherine Keller, geben auch faszinierende Impulse zur heutigen postmodernen Welt und zum christlichen Glauben. Gerade auch Rund um Ökologie, Gerechtigkeit und Machtverhältnisse. Es gibt es einige erste Anstösse zu einer interreligiösen Theologie, die theologische christliche Themen im Dialog und Wissen anderer Religionen formulieren.

Einige theologische Perspektiven zur postmodernen Zeit sind konservativ, entfernen sich von den Fragen der heutigen Welt und erliegen der Versuchung, es durch vormoderne Perspektiven und Glaubensinhalte besser zu wissen. Ich möchte ermutigen, in der postmodernen westlichen heutigen Welt den Glauben in zeitgenössischer Sprache und für die Menschen zu denken und zu formulieren, die den christlichen Glauben immer weniger verstehen. Dieses Umgehen mit den postmodernen Theologen stärkt meinen Glauben, erneuert meinen Enthusiasmus für Jesus und seinen Vater, eröffnet Denkmöglichkeiten aus christlicher Perspektive in der postmodernen Welt.

Pfarrer Martin Burkhard

November 2020


Publié par burkhard7

marié et père de 4 garçons et une fille. Réside en Suisse. Pasteur.

Laisser un commentaire